Kartoffel und Kaffee. Kirche

Pasing, Oselstraße, 23. Nov. 2015

Deutschland schmeckt nach Kartoffeln,
Deutschland riecht nach Kaffee,
Deutschland sieht aus wie ein schöner Film,
Deutschland hört sich an wie Musik,
Und Deutschland fühlt sich an wie ein schönes Lied.
Ich liebe die Schule, weil ich da Deutsch lernen kann.
Ich liebe Sport, weil es gut für mich ist.
Ich liebe Kino, weil ich Filme liebe.
Ich liebe die Kirche, weil ich Christin bin.
Ich liebe Arbeit, weil ich mag Geld.
Ich liebe Autofahren, weil ich gerne andere Städte besuche.
Ich lese gerne Bücher und esse am liebsten Fisch und Engera.
Mein Traumberuf ist Kindergärtnerin oder Friseurin.

Ngsti (17)

Helene Fischer und die Ärzte

Gärtnerplatzviertel, Augsburgerstraße, 21. Nov. 2015

Deutschland schmeckt wie Eiersalat
Deutschland riecht nach Blumen
Deutschland ist so sauber wie ein neuer BMW
Deutschland hört sich an wie Helene Fischer und die Ärzte
Deutschland fühlt sich an wie Freundschaft.
Ich bin seit einem Jahr in Deutschland.
Meine Hobbys sind Fußballspielen
Und Schwimmen.
Mein Lieblingsessen ist Engera,
das gibt es nur in Eritrea.
Mein Traumberuf ist es, Gärtner zu werden.

Eyob (18)

Das Taxi und der Esel

Ramersdorf-Perlach, Aschauer Straße, 19. Nov. 2015

Deutschland schmeckt wie guter Kuchen
Deutschland riecht nach teurem Waschmittel
Deutschland sieht aus wie ein Menschenmeer
Deutschland klingt nach Rap-Musik von Bushido
Deutschland fühlt sich an wie Familie.
Als ich vor sechs Monaten nach Deutschland kam, war alles neu für mich.
Ich konnte kein Deutsch.
Ich bin nach Hause gefahren mit dem Taxi und dann bin ich ausgestiegen. Ich habe vergessen, die Türe zu zu machen.
Dann hat der Taxifahrer zu mir gesagt: „Bitte mach die Tür zu.“
Also habe ich die Tür zu gemacht.
Da sagte der Taxifahrer „Danke“.
Und ich habe verstanden „Donkey“. Ich habe also gedacht, der Taxifahrer hat mich Esel genannt – und ich war eine ganze Woche sauer! Aber ich liebe viele Sachen.
Ich liebe Sport weil es gut für mich ist.
Ich liebe Bayern München, weil mein Lieblings-Spieler ist Arjen Robben.
Ich liebe Kino und Mr. Bean, weil er sehr lustig ist.
Ich liebe Urlaub, weil ich mag Freizeit.
Ich liebe viel Lernen, weil Lernen ist gut für meine Zukunft.
Ich liebe Motorrad, weil ich gerne schnell fahre.
Ich liebe Hunde, weil Hunde sind gute Freunde.
Ich esse am liebsten Pizza und Nudeln.
Aber nicht gleichzeitig.
Mein Traum ist es, Mechaniker zu werden.

Text: Abraham (17)

einfach gekocht

Neuhausen, Richelstr. 7, Nov. 2015
Gespräch: Christine Umpfenbach mit Moritz Greil

Wie fing das an, dass die VolxKüche für Geflüchtete kocht?
Am 1. September 2015 als wir hörten, dass so viele Geflüchtete am Hauptbahnhof ankommen werden, haben wir uns gefragt ,„wie schaut´s aus, wollen wir da was machen?“ Und da kam von allen, „wow ja wollen wir!“ Wir haben uns hin gestellt und einfach gekocht. Erst mal bei Fabi im Hinterhof einen Eintopf für 400 Leute.
Am Hbf war Chaos. Dann haben wir uns über die Caritas in der Hirtenstr. einen neuen Stellplatz organisiert und unser weißes Zelt aufgestellt. Seitdem sind wir toujours am Kochen. Jetzt sind wir in die Richelstr. umgezogen.

Für wie viele Leute habt ihr gekocht?
An einem Tag haben wir bis zu 5500 warme Essen raus gegeben. Der Hofpfister hat uns Brotlaibe geschenkt. Zu Hochzeiten schnippelten 20 Leute gleichzeitig im Schichtbetrieb. Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Wir waren 12, manchmal sogar 24 – 36 Stunden da. Wenn einer müde war, kam der nächste. Es war der Wahnsinn.

Das gibt’s nur hier?
Es gibt sonst keine Küchen, die privat organisiert sind. Nur professionelle Caterer. Und da hab ich gehört, dass die immer wieder Fehler machen, z.B. dass sie Kartoffelsuppe mit Wienerwürstchen machen, was natürlich problematisch ist.
Wir kochen vegan. Das passt zur Küche vieler afrikanischer und arabischer Länder, die sich relativ fleischlos ernähren. Wir wollen das auch aus ethischen Gründen, weil wir nicht das Fleisch kaufen können, was unseren Standards entspricht. Keine tierischen Produkte zu verwenden, ist der kleinste gemeinsame Nenner. Das kann jeder essen.

Wie kriegt ihr die Lebensmittel?
Nahrungsmittel werden inzwischen vom München Stift bzw. dem Sozialreferat bezahlt. Materialien kriegen wir vom Kreisjugendring. Wir sind gerade dabei einen Verein zu gründen, Volxküche München e.V. , einen gemeinnützigen Verein. Es soll klar sein, dass alles Geld wieder in soziale Projekte fließt. Das ist alles ehrenamtlich.

Warum macht ihr das?
Ich mach es, weil sich die Leute hier gerade nicht selbst verpflegen können. Wenn ich mich nicht selbst verpflegen könnte, dann wäre es für mich das Höchste der Gefühle, wenn mir jemand was Warmes zu Essen hinstellt. Die Geflüchtete, die hier in der Richelstr. sind, füllen ihre Reserven wieder auf.
Das ist der Unterschied vom letzten Mal als Geflüchtete hier waren. Da ging es nach vier Stunden weiter. Da reichte eine kleine Portion, um etwas Warmes im Magen zu haben und wieder Kraft zu bekommen. Aber im Moment sind Geflüchtete schon seit über eineihalb Wochen hier, haben Langeweile, wissen nicht was los ist.
Hier ist gerade eine Wartehalle voll von Männern.
Wichtig wäre jetzt, dass Organisationen herkommen, die was mit den Leuten machen. Projekte, die man kurzfristig macht. Tanzkurse, Sprachkurse, damit sie Deutsch lernen können. Viele sprechen uns an „Hallo, wie geht’s?“ oder „Kann ich bitte eine Banane haben?“ Sie lernen sehr gerne. Und mir wäre es auch stinke-langweilig, wenn ich über Tage und Wochen irgendwo wäre und keine Ansage bekomme.

Wie empfindest du die Stimmung in München jetzt?
Die Stimmung finde ich gut. Die Leute in München sagen noch, dass Geflüchtete willkommen sind und sehen sich auch keineswegs überfordert. Ich glaube eher, die haben schlechte Laune, weil die Regierung Fehler macht und immer wieder Falschaussagen macht. Die behauptet ja, dass momentan täglich 4000 Leute in München ankommen würden, was einfach nicht stimmt. Es kommt mir so vor, als versuchten sie die freiwilligen Helfer abzuschrecken, so dass es eben nicht mehr dieses freudige Hallo gibt.
Ich hoffe aber, dass die Leute trotzdem dabei bleiben, weil es toll ist, den Geflüchteten, die hier ankommen, das Gefühl zu geben, dass sie jetzt sicher sind.

Was braucht man, um ankommen zu können?
Ankommen kann ich, wenn jemand sagt: „Hallo, herzlich willkommen!“ So wie das München gemacht hat, oder wenn mein Bauch voll ist, weil ich gutes Essen bekommen hab. Ankommen kann ich, wenn meine Grundbedürfnisse erfüllt sind und wenn ich einen Plan habe, wie es weiter geht. Das ist so das Wichtige.


Ich mag die Bavaria, diese Frau

Westend, Ligsalzstr., 6. Nov. 2015

Gespräch: Shiar (25) und Christine Umpfenbach

Du hast den Krieg in Syrien mitbekommen?
Ja, in Aleppo.

Wie war das?
Am Anfang hatte man Angst. Angst, dass man erschossen wird, Angst vor Bomben. Aber irgendwann gewöhnt man sich dran.  Man geht zur Uni, man geht Einkaufen. Es wird normal. Man muss weiter leben.

Welche Erinnerung hast du an Aleppo, vor dem Krieg?
Es war eine schöne Stadt. Wir hatten unsere Freunde und Familie. Das Leben war aber auch vor dem Krieg nicht immer einfach. Mit dem Krieg wurde es schwieriger.

War es vorher schon nicht einfach, weil du kurdisch bist?
Kurdisch sein, spielt eine Rolle. Es gab Probleme deswegen. Und es gibt auch heute und hier Probleme deswegen.

Seit wann bist du in Deutschland?
Ich bin Anfang des Jahres nach München gekommen. Ich habe gleich Deutsch gelernt. Ich wollte nicht Asyl beantragen. Ich wollte einen Nebenjob haben und habe die Ausländerbehörde gefragt, ob ich eine Arbeitserlaubnis bekommen kann. Aber sie haben gesagt: Nein „Asyl beantragen“ oder „Ausreisen“.

Wo lebst du jetzt?
Ich wurde nach Neu-Ulm geschickt. Das ist noch in Bayern neben Ulm. München ist ganz anders als Neu-Ulm. In München werden Geflüchtete akzeptiert. Nicht nur am Hauptbahnhof, sondern überall. In Neu-Ulm habe ich das Gefühl, dass die Leute keinen Kontakt mit uns haben wollen. Ich bin aber erst 3 Wochen dort.
Am liebsten würde ich wieder in München leben.  München ist schön. Nicht nur die Stadt, auch die Leute. Ich mag München. Und ich mag es an der Theresienwiese zu sitzen am Abend. Einfach sitzen und ein Bier trinken. Ich mag die Bavaria, diese Frau. Einfach so.

Was wünschst du dir?
Ich wünsche mir, dass meine Zeugnisse anerkannt werden. Dann könnte ich eine Berufserlaubnis bekommen und zwei Jahre lang als Assistenzarzt arbeiten. Dann muss ich eine Prüfung machen, um meine Approbation als Zahnarzt zu bekommen. Ich habe meine Unterlagen schon abgegeben, aber es kam noch keine Antwort bis jetzt.
Und ich möchte einfach arbeiten. Ich will kein Geld von irgendjemand, ich will alles selber zahlen. Ich habe mich jetzt für freiwillige Arbeit beim Roten Kreuz angemeldet. Helfen, etwas machen, ist besser als in der Unterkunft zu sitzen.

Welche Orte sind dir wichtig?
Die Bibliothek. Ich lese viel. Ich verbringe eigentlich meine ganze Zeit in der Bibliothek.
Und Studieren, die Uni ist mir wichtig. Ich will da nächste Woche als Gasthörer hin. Ich wollte fragen, ob das geht.

Vor was hast du Angst?
Meine größte Angst ist, dass meiner Familie etwas passiert. Meine Familie ist das Wichtigste für mich. Um mich persönlich habe ich keine große Angst. Klar, meine Wohnsituation ist nicht sehr schön. In der Unterkunft sind alle Menschen nervös. Das ist schwierig.

Was braucht man um anzukommen?
Chancen und Freiheit.

Shadi

Neuhausen, Albrechtstraße 6, 15. Nov. 2015

Shadi war in Damaskus, Syrien ein professioneller Basketballspieler und Trainer. Jetzt ist er in München und seine Leidenschaft wird ihm helfen mit den Menschen zu kommunizieren. BC Hellenen

Film: Suli Kurban

Wished I was a refugee

Maxvorstadt, Seidlstraße, 18. Nov. 2015

Bei der Frage nach der Vorzugsbehandlung der Geflüchteten geht es nicht um das Ob, sondern lediglich um das Ausmaß. „Smartphones kriegen sie direkt nach der Ankunft in Deutschland geschenkt“, „es werden ihnen“ – so oder so ähnlich einer Schlagzeile einer boulevardesken Tageszeitung zu entnehmen – „Führerscheine nachgeworfen“, und sie „kassieren monatlich ganze 1000€ pro Person – einfach so!“

Da wird z.B. „von einer wahren Vergewaltigungswelle an minderjährigen Mädchen, von einer Horde hormonell völlig entfesselter Asylanten“ berichtet. Nur deswegen ans Licht gekommen, weil der Schreiber einen Mann kennt, der zur Zeit, als die missbrauchten Kinder – sie sollen zwischen acht und zehn Jahre alt gewesen sein –  in eine Klinik gebracht wurden, in ebendieser zur Behandlung war. Vermutlich um die Spätfolgen einer Überdosis Impfstoff, die ihm skrupellose Ärzte in seiner Kindheit verpasst haben, auszukurieren. Fragt sich nur, warum er den Scharlatanen weiterhin vertraut. Wäre es nicht besser, sich stattdessen dem einzig vertrauensvollen Medizinratgeber namens „Dr. Google“ anzuvertrauen? Einfach „Pickel am Arsch + Chemtrails“ ins Browsersuchfenster eingeben und los geht ein hypochondrischer Trip, wie ihn einem dafür Empfänglichen seinerzeit nicht mal der olle „Pschyrembel“ verpasst hätte.
Nebenbei noch bei „Kopp“ vorbeisurfen und via Liveticker erfahren, in welchen Untergangsstadium sich die Erde gerade befindet und – dazu ist das Internet schließlich erfunden worden – ein paar Pornobilder runterladen. Wie gut, dass man heute nicht einmal seine eigenen vier Wände verlassen muss, um fremde Welten zu bereisen. Eine, in der man frei heraus zweifeln und hassen darf, wen und was man will, und sich dafür nicht rechtfertigen muss. Brave New WWWorld!
Wehe aber dem, der einen aus diesem selbsterwählten Eskapismus herauszureißen versucht. Solche naiven und leichtgläubigen Gestalten gibt es zu Hauf. Die kommen einem immer mit irgendwelchen – gefälschten natürlich – Statistiken daher. Labern – anders kann man es ja nicht nennen – irgendwas von Demographie und so Zeugs. Und dass man sich eher wegen der durch die globale Erwärmung drohenden Katastrophen Sorgen machen müsste. Als ob es einem etwas ausmachen würde, dass man in Zukunft viel schneller nach Feierabend einen Parkplatz für seinen SUV finden, und schon Ende Februar die Grillsaison am See einläuten wird können.
Wären da nur nicht die Geflüchteten, „die doch nur hierher kommen, um uns, die wir hart für das alles gearbeitet haben, alles zunichte zu machen!“ Und der Staat unterstützt sie dabei noch. Lockt sie mit einem bedingungslosen Einkommen und schenkt ihnen auch noch elektronisches Spielzeug, damit sie ja da bleiben. Warum tut die Merkel das nur? Man sollte es googeln.

Text: Krzysztof Merks

In Ordnung oder German Angst

Neuhausen, Marsstraße, 11. Nov. 2015


Selten erzählten meine Großeltern mütterlicherseits vom Krieg. Nicht, weil ihnen darin Schreckliches widerfahren wäre, sondern schlichtweg, weil es kaum etwas zu erzählen gab. Mein Großvater brachte es auf den Punkt: „Zuerst kamen die Russen. Dann die Deutschen. Und dann wieder die Russen.“ Unter den Deutschen, da waren sich beide einig, war es besser. „Da herrschte Ordnung“, sagte meine Großmutter und ihr Mann, mein Großvater, nickte zustimmend.
Als ich Jahre später nach Deutschland kam, wunderte ich mich deswegen nicht, dass hier tatsächlich alles so schön ordentlich war. Auf den Straßen und den Feldern, die, anders als in meiner Heimat, wie Schachbretter aussahen. Ja, sogar im Wald schienen die Bäume, einer dem anderen gleich, in Reih und Glied zu stehen. Heute weiß ich, dass das beabsichtigt war. Sie sind ungefähr zu der Zeit, in der sich die Russen und die Deutschen um das Dorf meiner Großeltern balgten, von Menschenhand, vielleicht von der meines Großonkel väterlicherseits, der zur Zwangsarbeit eingezogen wurde, eingepflanzt. Die Natur bringt solche Monokulturen nicht hervor. Und das hat Gründe.
Nur ein paar Monate nach unserer Ankunft in dem Land, das zu unserer – d.h. meiner Eltern und meiner eigenen – zweiten Heimat werden sollte, erlebten wir in unserem am Waldrand gelegenen Hause einen Herbststurm, der einem wahren Inferno glich. Ein Baum nach dem anderen knickte um oder wurde ganz, mit dem Wurzelwerk, aus dem Boden gerissen. „Die Nadelbäume“, erklärte mir mein Vater, „Schlagen keine allzu tiefen Wurzeln.“
Außerdem, stellte er, der passionierte – wenn auch besonnene Pilzsammler („Es gibt zwei Sorten davon“, höre ich ihn predigen, „Die mutigen und die alten. Und beides schließt sich aus.“) – zu seinem Leidwesen fest, ist die Auswahl an Schwammerln in den lichten, da fast unterholzfreien Wäldern, recht bescheiden. Und Tiere sehe man auch so gut wie keine.
Die Pflanzenwelt lasse sich eben besser beherrschen. Wald vor Wild heißt das Motto der Deutschen deshalb, die schon in Panik ausbrechen, wenn ein einzelner Braunbär „unerlaubt“ die grüne Grenze überquert und hierzulande sein „Unwesen“ zu treiben beginnt. Man versucht dem „Invasor“ sogleich einen Namen zu geben: „Problembär“ und dergleichen. Und knallt ihn vorsichtshalber mal ab, bevor dieser auch nur annähernd in die Verlegenheit kommen könnte, ein echter „Schadbär“ zu werden.
Ähnlich verhält es sich mit den angeblichen Horden Wölfe, die die Ostgrenze passieren. Eine virtuelle Gefahr schwebt in der Luft, alle Förster und Jäger werden in Alarmbereitschaft versetzt. Und auch wenn die Experten die Gemüter zu beruhigen versuchen – die besorgten Anwohner treibt die Angst um, was alles passieren KÖNNTE, noch bevor etwas passiert ist.
Man soll keine Äpfel mit Birnen vergleichen oder Ausländer mit Bären. Aber – warum eigentlich nicht?

Text: Krzysztof
Die Goldies – Schrei nach Liebe

Hazara bedeutet Tausend

Rosenheim, Lindenweg, 12. Nov. 2015

Salam, ich heiße Younus. Mir hat mal jemand erzählt, mein Name bedeutet Taube… Früher habe ich mir gewünscht ich wäre eine Taube und könnte fliegen wohin ich will. In meiner Heimat lieben die Menschen Tauben. Wenn sie eine große Schar zusammen fliegen sehen, freuen sie sich… hier, in Deutschland, ist das ganz anders.

Ich kam vor vier Jahren in München an, hier begann das vorläufige Ende meiner langen Reise. Einmal war ich auf dem Weg, um etwas einzukaufen als eine Frau mit ihrem Hund an der Leine eine Taube verscheuchte und laut fluchte. Ich konnte noch nicht gut Deutsch aber ich verstand, dass sie die Taube nicht mochte. Ein Tier wird geliebt und das andere verjagt. Ich war sehr erschrocken darüber und dachte noch lange an diese Frau.
Auf meinen Weg habe ich viele Dinge erlebt, verjagt zu werden zum Beispiel. Im Iran muss man immer aufpassen, dass man nicht von der Polizei erwischt wird, die schicken einen wieder zurück nach Afghanistan aber erst nachdem sie dich geschlagen, beklaut und gedemütigt haben. Auch von „normalen“ Leuten muss man aufpassen, die mögen auch keine Afghanen, sie sagen Afghanen sind dreckig.
Sowas hat die Frau in München über die Taube auch gesagt.
Iraner haben nichts gegen Tauben. Es gibt sogar ein paar sehr hoch gehandelte Taubenrassen aus dem Iran. Die sind alle auf verschiedene Merkmale gezüchtet, manche haben eine spezielle Farbe, andere einen besonders schön gebogenen Schnabel oder einen langen Hals.
Afghanen, die aussehen wie Iraner haben es nicht ganz so schwer, weil man sie eben nicht gleich als Afghanen erkennt.
Ich bin ein Hazara. Hazara bedeutet Tausend. Dschingis Khan schickte aus dem mongolischen Reich Tausendschaften in alle Richtungen. Das waren unsere Vorfahren.
Deshalb erkennt man Hazara auch sofort an ihren schmalen Augen, flachen Nasen und der eher kleinen Statur.
Durch dieses asiatische Aussehen ist man im Iran sofort als Afghane zu erkennen und somit ein leichtes Ziel für Anfeindungen. Sie geben dir schlechte Namen, beleidigen dich, spucken nach dir und schlagen dich.
In den Parks stehen Schilder, auf denen steht „kein Zutritt für Hunde und Afghanen“.
Ich war im Iran um Geld zu verdienen. Von 6 Uhr morgens bis 11 Uhr nachts nähte ich Taschen, Frauenhandtaschen, Koffer und Reisetaschen. Sechs Tage in der Woche. Am Freitag hatten wir frei. An diesem Tag gingen wir Fußball spielen und duschen. Alle sechs Monate bekommt man seinen Lohn und als ich genug gespart hatte, beschloss ich mich auf den Weg nach Europa zu machen.
In Europa gibt es Menschenrechte habe ich gehört auch für Afghanen und auch für Hazara, eben für alle Menschen.
Ein friedliches Leben…davon habe ich geträumt. Frei raus gehen zu können, keine Angst zu haben, sich nicht immer verstecken müssen.
Freunde haben erzählt „in Europa bekommt man sogar Geld wenn man Hunde wäscht“. Ich habe immer gedacht das wäre ein Witz.
In München gibt es Friseure für Hunde und es gibt auch Frauen, die tragen ihren Hund in der Handtasche. Ob im Iran jetzt wohl auch solche Hundetaschen genäht werden müssen?
Auch diese Menschenrechte gibt es hier. Aber trotzdem hat nicht jeder Mensch die gleichen Rechte. Ich z.B. dufte nicht einfach raus aus München. Wenn ich einen Freund in einer anderen Stadt besuchen wollte, musste ich 1-2 Wochen vor dem Besuch einen schriftlichen Antrag stellen, 10 € für die Bearbeitung zahlen und dann durfte ich München für eine Woche verlassen. Warum, konnte mir niemand erklären. „Das ist halt so in Deutschland!“ wurde mir gesagt. Für ALLES gibt es ein Papier.
Auch die Menschenrechte hat man nur mit Papieren und auf dem Papier. Solange man keinen Ausweis hat, hat man auch keine Rechte, obwohl man ein Mensch ist. Was ein Mensch erzählt, hat hier keinen Wert. Wenn das Erzählte aber irgendjemand aufgeschrieben und einen Stempel drauf gemacht hat, ist es auf einmal sehr viel wert. Ich habe die Menschen, die über mein weiteres Leben entschieden haben, nie gesehen. Alle schlimmen Dinge, die mir auf der Flucht passiert sind, musste ich wieder und wieder „erleben“, weil es dokumentiert werden sollte. Ich musste Berichte von sämtlichen Ereignissen vorlegen, von Unfällen, Gefängnisaufenthalten…. von allem, von dem man hofft, es möglichst schnell zu vergessen. Über all diese schlimmen Dinge wurde ich befragt, umso schlimmer, umso interessanter… wie ich mit diesen Erlebnissen fertig werde, hat mich nie jemand gefragt. Man muss viel Kämpfen und noch mehr einstecken.
Ja, in Europa gibt es Freiheit und Menschenrechte. Aber um die zu erkämpfen, muss man beides für eine Zeit lang verlieren.
Am Fenster von dem Wohnheim, in dem ich in München gelebt habe, war eine Art Stacheldraht angebracht. Mein Betreuer sagte mir, der sei da, damit sich die Tauben nicht hinsetzen können. Und er sagte mir auch, dass man die Tauben hier nicht füttern soll.
Ich erinnerte mich als ich ein Kind war und mir wünschte, frei zu fliegen wie eine Taube.

Text: Younus (20)

Ohne Titel oder same same but different

Haidhausen, Einsteinstraße, 17. Nov. 2015

Vor Gott mag jeder Mensch gleich sein. Vor dem Gesetz ist er das überraschenderweise nicht.
Gleich nach der Frage nach dem Namen folgt bei der Anmeldung, die nach dem Alter (kritisch), dem Herkunftsland (sehr kritisch) und dem Aufenthaltstitel. „Status in Deutschland“ steht in der Spalte und einer der Kandidaten für einen Schulplatz hatte einmal „gut“ rein geschrieben. Es ist aber keine Frage nach dem Wohlbefinden. So ähnlich wie das „How are you?“ der Amis, auf das es – Slavoj Žižek hatte das unlängst in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung richtig festgestellt – nur eine Antwort geben kann. Auf die Frage nach dem Status in Deutschland gibt es derer ganze drei: Erlaubnis, Gestattung, Duldung. Man könnte sie mit „very good“, „good“ und „not so good“ übersetzen. Der des erwähnten Kandidaten war übrigens „not so good“.

Wenn man beruflich mit Asylsuchenden zu tun hat, könnte man sich irgendwann mal wie ein Börsenmakler vorkommen. Ständig muss man auf die aktuell herrschende Gesetzeslage achten, die Kurse checken. Erst kürzlich musste ich einem jungen Mann (Alter: good), der endlich einen Ausbildungsplatz gefunden hatte (good), erklären, dass das neuerdings nicht ausreicht, damit er in Deutschland bleiben darf. Weil man sein Herkunftsland für „sicher“ erklärt hatte. Eigentlich, so könnte man meinen, hätte er sich darüber freuen sollen. Tat er aber nicht.
Vor einigen Monaten unterhielt ich mich mit einem Bekannten über Fußball. Ob er die deutschen Mannschaften möge, wollte ich wissen. „Jetzt schon“, gab er mir zur Antwort. Woher der Sinneswandel? Er wurde, als er in dieses Land gekommen war, nur geduldet. Jetzt aber habe er eine Aufenthaltserlaubnis und da erlaube er sich, auch den deutschen Fußball zu schätzen. Besser kann man das, denke ich, nicht auf den Punkt bringen. Es würde an Übermenschliches grenzen, wenn man von jemandem, dem man deutlich zu verstehen gibt, dass er im Grunde unerwünscht ist, verlangen würde, dass er sich seinerseits dankbar und für die von der Mehrheitsgesellschaft verkörperte Kultur – zu der ich mir den Sport hinzuzuzählen erlaube – empfänglich zeigt. Wundert es da noch jemanden, dass ich selbst, nach mehr als zwanzigjährigem Aufenthalt in diesem Land, meiner „alten Heimat“ die Daumen drücke, wenn sie in irgendeinem sportlichen Wettbewerb gegen die Deutschen antritt?
Zu der Hochzeit von Thetis und Peleus, aus deren Verbindung später einer der größten Helden der Antike – Achill – hervorgehen sollte, wurden alle olympischen Götter – die Braut war selbst eine davon – eingeladen. Bis auf Eris, die Göttin der Zwietracht. Sie ließ es sich aber nicht nehmen, bei der Feier aufzutauchen, und verübte mit ihrem Präsent, das man – im Vorgriff auf die späteren Geschehnisse – als ein wahres Danaergeschenk bezeichnen könnte, einen Anschlag auf die gute Laune der Hochzeitgesellschaft. Hätte man es ihr verübeln können?

Text: Krzysztof Merks