Hazara bedeutet Tausend

Rosenheim, Lindenweg, 12. Nov. 2015

Salam, ich heiße Younus. Mir hat mal jemand erzählt, mein Name bedeutet Taube… Früher habe ich mir gewünscht ich wäre eine Taube und könnte fliegen wohin ich will. In meiner Heimat lieben die Menschen Tauben. Wenn sie eine große Schar zusammen fliegen sehen, freuen sie sich… hier, in Deutschland, ist das ganz anders.

Ich kam vor vier Jahren in München an, hier begann das vorläufige Ende meiner langen Reise. Einmal war ich auf dem Weg, um etwas einzukaufen als eine Frau mit ihrem Hund an der Leine eine Taube verscheuchte und laut fluchte. Ich konnte noch nicht gut Deutsch aber ich verstand, dass sie die Taube nicht mochte. Ein Tier wird geliebt und das andere verjagt. Ich war sehr erschrocken darüber und dachte noch lange an diese Frau.
Auf meinen Weg habe ich viele Dinge erlebt, verjagt zu werden zum Beispiel. Im Iran muss man immer aufpassen, dass man nicht von der Polizei erwischt wird, die schicken einen wieder zurück nach Afghanistan aber erst nachdem sie dich geschlagen, beklaut und gedemütigt haben. Auch von „normalen“ Leuten muss man aufpassen, die mögen auch keine Afghanen, sie sagen Afghanen sind dreckig.
Sowas hat die Frau in München über die Taube auch gesagt.
Iraner haben nichts gegen Tauben. Es gibt sogar ein paar sehr hoch gehandelte Taubenrassen aus dem Iran. Die sind alle auf verschiedene Merkmale gezüchtet, manche haben eine spezielle Farbe, andere einen besonders schön gebogenen Schnabel oder einen langen Hals.
Afghanen, die aussehen wie Iraner haben es nicht ganz so schwer, weil man sie eben nicht gleich als Afghanen erkennt.
Ich bin ein Hazara. Hazara bedeutet Tausend. Dschingis Khan schickte aus dem mongolischen Reich Tausendschaften in alle Richtungen. Das waren unsere Vorfahren.
Deshalb erkennt man Hazara auch sofort an ihren schmalen Augen, flachen Nasen und der eher kleinen Statur.
Durch dieses asiatische Aussehen ist man im Iran sofort als Afghane zu erkennen und somit ein leichtes Ziel für Anfeindungen. Sie geben dir schlechte Namen, beleidigen dich, spucken nach dir und schlagen dich.
In den Parks stehen Schilder, auf denen steht „kein Zutritt für Hunde und Afghanen“.
Ich war im Iran um Geld zu verdienen. Von 6 Uhr morgens bis 11 Uhr nachts nähte ich Taschen, Frauenhandtaschen, Koffer und Reisetaschen. Sechs Tage in der Woche. Am Freitag hatten wir frei. An diesem Tag gingen wir Fußball spielen und duschen. Alle sechs Monate bekommt man seinen Lohn und als ich genug gespart hatte, beschloss ich mich auf den Weg nach Europa zu machen.
In Europa gibt es Menschenrechte habe ich gehört auch für Afghanen und auch für Hazara, eben für alle Menschen.
Ein friedliches Leben…davon habe ich geträumt. Frei raus gehen zu können, keine Angst zu haben, sich nicht immer verstecken müssen.
Freunde haben erzählt „in Europa bekommt man sogar Geld wenn man Hunde wäscht“. Ich habe immer gedacht das wäre ein Witz.
In München gibt es Friseure für Hunde und es gibt auch Frauen, die tragen ihren Hund in der Handtasche. Ob im Iran jetzt wohl auch solche Hundetaschen genäht werden müssen?
Auch diese Menschenrechte gibt es hier. Aber trotzdem hat nicht jeder Mensch die gleichen Rechte. Ich z.B. dufte nicht einfach raus aus München. Wenn ich einen Freund in einer anderen Stadt besuchen wollte, musste ich 1-2 Wochen vor dem Besuch einen schriftlichen Antrag stellen, 10 € für die Bearbeitung zahlen und dann durfte ich München für eine Woche verlassen. Warum, konnte mir niemand erklären. „Das ist halt so in Deutschland!“ wurde mir gesagt. Für ALLES gibt es ein Papier.
Auch die Menschenrechte hat man nur mit Papieren und auf dem Papier. Solange man keinen Ausweis hat, hat man auch keine Rechte, obwohl man ein Mensch ist. Was ein Mensch erzählt, hat hier keinen Wert. Wenn das Erzählte aber irgendjemand aufgeschrieben und einen Stempel drauf gemacht hat, ist es auf einmal sehr viel wert. Ich habe die Menschen, die über mein weiteres Leben entschieden haben, nie gesehen. Alle schlimmen Dinge, die mir auf der Flucht passiert sind, musste ich wieder und wieder „erleben“, weil es dokumentiert werden sollte. Ich musste Berichte von sämtlichen Ereignissen vorlegen, von Unfällen, Gefängnisaufenthalten…. von allem, von dem man hofft, es möglichst schnell zu vergessen. Über all diese schlimmen Dinge wurde ich befragt, umso schlimmer, umso interessanter… wie ich mit diesen Erlebnissen fertig werde, hat mich nie jemand gefragt. Man muss viel Kämpfen und noch mehr einstecken.
Ja, in Europa gibt es Freiheit und Menschenrechte. Aber um die zu erkämpfen, muss man beides für eine Zeit lang verlieren.
Am Fenster von dem Wohnheim, in dem ich in München gelebt habe, war eine Art Stacheldraht angebracht. Mein Betreuer sagte mir, der sei da, damit sich die Tauben nicht hinsetzen können. Und er sagte mir auch, dass man die Tauben hier nicht füttern soll.
Ich erinnerte mich als ich ein Kind war und mir wünschte, frei zu fliegen wie eine Taube.

Text: Younus (20)