In Ordnung oder German Angst

Neuhausen, Marsstraße, 11. Nov. 2015


Selten erzählten meine Großeltern mütterlicherseits vom Krieg. Nicht, weil ihnen darin Schreckliches widerfahren wäre, sondern schlichtweg, weil es kaum etwas zu erzählen gab. Mein Großvater brachte es auf den Punkt: „Zuerst kamen die Russen. Dann die Deutschen. Und dann wieder die Russen.“ Unter den Deutschen, da waren sich beide einig, war es besser. „Da herrschte Ordnung“, sagte meine Großmutter und ihr Mann, mein Großvater, nickte zustimmend.
Als ich Jahre später nach Deutschland kam, wunderte ich mich deswegen nicht, dass hier tatsächlich alles so schön ordentlich war. Auf den Straßen und den Feldern, die, anders als in meiner Heimat, wie Schachbretter aussahen. Ja, sogar im Wald schienen die Bäume, einer dem anderen gleich, in Reih und Glied zu stehen. Heute weiß ich, dass das beabsichtigt war. Sie sind ungefähr zu der Zeit, in der sich die Russen und die Deutschen um das Dorf meiner Großeltern balgten, von Menschenhand, vielleicht von der meines Großonkel väterlicherseits, der zur Zwangsarbeit eingezogen wurde, eingepflanzt. Die Natur bringt solche Monokulturen nicht hervor. Und das hat Gründe.
Nur ein paar Monate nach unserer Ankunft in dem Land, das zu unserer – d.h. meiner Eltern und meiner eigenen – zweiten Heimat werden sollte, erlebten wir in unserem am Waldrand gelegenen Hause einen Herbststurm, der einem wahren Inferno glich. Ein Baum nach dem anderen knickte um oder wurde ganz, mit dem Wurzelwerk, aus dem Boden gerissen. „Die Nadelbäume“, erklärte mir mein Vater, „Schlagen keine allzu tiefen Wurzeln.“
Außerdem, stellte er, der passionierte – wenn auch besonnene Pilzsammler („Es gibt zwei Sorten davon“, höre ich ihn predigen, „Die mutigen und die alten. Und beides schließt sich aus.“) – zu seinem Leidwesen fest, ist die Auswahl an Schwammerln in den lichten, da fast unterholzfreien Wäldern, recht bescheiden. Und Tiere sehe man auch so gut wie keine.
Die Pflanzenwelt lasse sich eben besser beherrschen. Wald vor Wild heißt das Motto der Deutschen deshalb, die schon in Panik ausbrechen, wenn ein einzelner Braunbär „unerlaubt“ die grüne Grenze überquert und hierzulande sein „Unwesen“ zu treiben beginnt. Man versucht dem „Invasor“ sogleich einen Namen zu geben: „Problembär“ und dergleichen. Und knallt ihn vorsichtshalber mal ab, bevor dieser auch nur annähernd in die Verlegenheit kommen könnte, ein echter „Schadbär“ zu werden.
Ähnlich verhält es sich mit den angeblichen Horden Wölfe, die die Ostgrenze passieren. Eine virtuelle Gefahr schwebt in der Luft, alle Förster und Jäger werden in Alarmbereitschaft versetzt. Und auch wenn die Experten die Gemüter zu beruhigen versuchen – die besorgten Anwohner treibt die Angst um, was alles passieren KÖNNTE, noch bevor etwas passiert ist.
Man soll keine Äpfel mit Birnen vergleichen oder Ausländer mit Bären. Aber – warum eigentlich nicht?

Text: Krzysztof
Die Goldies – Schrei nach Liebe